Das Auto bleibt wichtig - 2.12.23

Wie sich die Landesregierung in Stuttgart die Zukunft der Mobilität auf dem Land vorstellt

Von Ulrich Mendelin

Ravensburg

Dem Deutschlandticket und allen Plänen für den Ausbau von Bus- und Bahnverkehr zum Trotz: Auf dem Land bleibt das Auto auch in Zukunft das wichtigste Verkehrsmittel. Der Mann, der das sagt, ist nicht etwa ADAC-Sprecher oder Lobbyist der Autoindustrie, sondern Baden-Württembergs grüner Verkehrsminister. „Der motorisierte Individualverkehr wird auch in Zukunft eine hohe Relevanz für die Mobilität im ländlichen Raum haben und dominierendes Verkehrsmittel bleiben“, stellt Winfried Hermann fest.

Anlass für die Aussage des Grünen-Politikers, der bislang nicht als unbändiger Autofreund aufgefallen ist, war eine Anfrage des Biberacher CDU-Landtagsabgeordneten Thomas Dörflinger zur Zukunft des Privat-Pkws im Südwesten. „Im ländlichen Raum soll ein Leben ohne Auto möglich sein, ist allerdings nicht die Leitstrategie“, heißt es in der Antwort des Verkehrsministers, die der „Schwäbischen Zeitung“ vorliegt. Hermann stellt aber klar: „Dennoch soll durch zuverlässige Angebote die Zahl der Zweit- und Drittwagen sinken und das Carsharing systematisch gefördert werden.“

Hintergrund der Anfrage ist die im Koalitionsvertrag von Grünen und CDU vereinbarte Mobilitätsgarantie für Baden-Württemberg. In einer ersten Stufe soll es bei Bussen und Nahverkehrszügen bis 2026 flächendeckend einen 15-Minuten-Takt in Ballungsgebieten und einen 30-Minuten-Takt auf dem Land während der Hauptverkehrszeit geben. Allein dafür wurden laut CDU-Mann Dörflinger zuletzt 240 Millionen Euro jährlich veranschlagt. Wobei die genaue Höhe noch strittig ist, und auch die Antwort auf die Frage, wer zahlt.

„Das sind schon große Investitionen, die da getätigt werden sollen“, sagt Dörflinger. „Da ist es legitim nachzufragen, was am Ende dabei herauskommt“ - also wie viele Menschen nach Einschätzung des Verkehrsministeriums umsteigen werden, und wie viele sich selbst bei einem hervorragend ausgebauten öffentlichen Nahverkehr lieber ins eigene Auto setzen. Von Hermanns Ausführungen ist Dörflinger etwas enttäuscht: „Leider enthält die Antwort keine klaren Aussagen, wie die Landesregierung die Zahl der Personen einschätzt, die auch dann den Pkw weiter nutzen, wenn eine Mobilitätsgarantie umgesetzt werden würde.“

Dass im Südwesten bislang mehr Menschen das eigene Auto bevorzugen als in benachbarten Regionen in Österreich und der Schweiz, zeigt aber der ÖPNV-Report Baden-Württemberg von 2020, auf den das Verkehrsministerium verweist. Ein Kernbegriff der Untersuchung ist der sogenannte Modal Split. Damit wird in der Verkehrswissenschaft der Anteil der verschiedenen Verkehrsmittel am gesamten Verkehrsaufkommen in einer Region oder einer Stadt bezeichnet. „Der Blick nach Österreich und in die Schweiz zeigt hierbei, dass deutlich höhere Modal-Split-Anteile des ÖPNV in ähnlich strukturierten Regionen möglich sind“, hält das Verkehrsministerium fest.

Untersucht wurden für die Studie neben Baden-Württemberg auch Vorarlberg, die Nordostschweiz und der Kanton Zürich. Aus Hermanns Sicht dürften all diese Regionen Vorbilder sein, denn überall wird mehr Bus und Bahn gefahren als hierzulande. Zwar wurden die Zahlen vor der Corona-Pandemie und der Einführung des Deutschlandtickets erhoben - dennoch sind die Unterschiede markant. So wurden in der Stadt Stuttgart 40 Prozent der Wege im eigenen Auto zurückgelegt, in der Stadt Zürich waren es nur 21 Prozent.

Für eine Region wie etwa Südwürttemberg dürfte sich vor allem der Vergleich mit Vorarlberg anbieten. In dem österreichischen Bundesland wird jeder zweite Weg (52 Prozent) mit dem Auto zurückgelegt, der ÖPNV hat einen Anteil von 14 Prozent - der Rest verteilt sich auf Fuß- und Radverkehr. Im Bereich des deutschen Verkehrsverbunds DING, zu dem die Stadt Ulm und die Landkreise Alb-Donau, Biberach und Neu-Ulm gehören, werden hingegen 62 Prozent der Wege mit dem Auto und nur acht Prozent mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt. Dabei ist die Siedlungsdichte im Bereich des DING ziemlich genau mit der von Vorarlberg vergleichbar.

Die Rechnung, dass dünner besiedelte Gebiete automatisch einen höheren Anteil an Individualverkehr haben, stimmt der Studie zufolge zwar - ist aber nur die halbe Wahrheit. Ebenso wahr ist: Auch in ländlichen Regionen könnte Baden-Württemberg einen höheren ÖPNV-Anteil erreichen, wie die Zahlen aus Vorarlberg nahelegen. In dem Nachbarland wird seit Jahren kontinuierlich in den Nahverkehr investiert.

Für das Verkehrsministerium eine wesentliche Erkenntnis aus der Untersuchung: Will man den Anteil des öffentlichen Verkehrs steigern, braucht es vor allem einen dichteren Takt. Ein weiterer Faktor ist nach Einschätzung des Ministeriums die Reisezeit: Brauchen Bus und Bahn zu lang, und sind zu viele Umstiege fällig - dann ziehen Menschen oft das Auto vor.

Aus Sicht des CDU-Abgeordneten Dörflinger gibt es weitere Faktoren: „Der Sauberkeit, Pünktlichkeit und Verlässlichkeit der Züge und Busse kommt eine zentrale Bedeutung zu.“ Zudem würden viele Menschen großen Wert auf ihre individuelle Mobilität legen: „Manche schätzen die Flexibilität, andere die Bequemlichkeit oder sie wollen morgens auf dem Weg zur Arbeit nicht in vollen Schulbussen stehen.“

Dörflinger fordert, dass bei allen Investitionen in den Nahverkehr diese Gruppe nicht vergessen wird. „Auch dem Erhalt der Straßen muss weiter eine wichtige Rolle zukommen“, sagt er und verweist insbesondere auf den hohen Sanierungsbedarf bei Brücken. Deren Verkehrstüchtigkeit ist indes für Privatautos und öffentliche Busse gleichermaßen notwendig.

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© Schwäbische Zeitung, Ausgabe Biberach vom 2.12.2023 - Seite 2

Kleine Anfrage des Abgeordneten Thomas Dörflinger vom 27.10.23

Ich frage die Landesregierung:

1. Welche Bedeutung – mit Blick auf das Grundbedürfnis Mobilität – kommt dem Individualverkehr mit dem Pkw (unabhängig von der Antriebsart) im ländlichen Raum in Baden-Württemberg aktuell, mittel- sowie langfristig zu, unter differenzierter Betrachtung des ländlichen Raumes nach den Kategorien zentrale Stadt, Mittelstadt sowie Kleinstadt/dörflicher Raum?

2. Von welchem Anteil der Pkw-Nutzerinnen und -Nutzer im ländlichen Raum geht sie aus, der voraussichtlich nicht auf den öffentlichen Personennahverkehr umsteigen wird, selbst wenn ein verlässliches Angebot im Rahmen einer Mobilitätsgarantie bestünde?

3. Inwiefern liegen ihrer Kenntnis nach zu dieser Fragestellung bereits repräsentative Umfragen beziehungsweise Studien vor?

4. Inwiefern wurde beziehungsweise wird diese Fragestellung im Rahmen der Pilotuntersuchungen zum Mobilitätspass und zur Mobilitätsgarantie in den Modellkommunen berücksichtigt?

5. Welche Gründe sieht sie, dass Nutzerinnen und Nutzer trotz eines verlässlichen Angebots des öffentlichen Personennahverkehrs im Rahmen der Mobilitätsgarantie am Individualverkehr mit dem Pkw im ländlichen Raum festhalten?

6. Wie bewertet sie diese Gründe?

7. Welche Schlüsse zieht sie aus ihren Annahmen zur mittel- und langfristigen Bedeutung des Individualverkehrs mit dem Pkw im ländlichen Raum auf die Ausgestaltung der Mobilitätsgarantie in Baden-Württemberg?

27.10.2023

Dörflinger CDU

Antwort des Ministeriums für den Verkehr vom 21.11.2023 als Drucksache 17/5682

> hier als PDF (Download)

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