Dörflinger: „In der Abwägung tendiere ich zu Sicherheit vor Datenschutz“ - 7.8.25
Das Bahnunglück bei Riedlingen und die 1400 nicht besetzten Lehrerstellen sind zwei der Themen im Sommerinterview mit dem Biberacher Landtagsabgeordneten Thomas Dörflinger (CDU).
Von Gerd Mägerle
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BIBERACH - Herr Dörflinger, zunächst eine aktuelle Frage: Das Bahnunglück bei Riedlingen hat die Menschen sehr erschüttert. Wie haben Sie den Abend erlebt und wie können Sie als Landtagsabgeordneter unterstützen?
Ich kam gerade vom Biberacher Schützenfest nachhause, als ich davon erfahren habe. In diesem Moment wurde mir bewusst, wie nah Freud und Leid beieinander liegen. Ich habe mich dann sofort und mit sehr gemischten Gefühlen auf den Weg nach Zell-Bechingen gemacht. Mir war es wichtig, meine Unterstützung ausdrücken, aber auch die Einsatzkräfte nicht zu behindern. Deshalb habe ich mich eher im Hintergrund gehalten. Es sah alles dramatisch aus und ich möchte den vielen Rettungskräften, der Notfallseelsorge und der Einwohnerschaft aus Zell-Bechingen herzlich danken. Das habe ich im Nachgang auch bei der Sana-Klinik in Biberach getan, die an dem Sonntag rund 250 Mitarbeiter als Bereitschaft aktiviert hatte.
Muss das Land jetzt nicht alle Bahnstrecken überprüfen, auf denen etwas Ähnliches passieren könnte?
Die Bahn tut da schon viel mit Sensoren, Schutzzäunen oder Drohnen. Zur Ehrlichkeit gehört auch, dass es nicht möglich ist, alle Strecken so zu überwachen, dass es eine 100-prozentige Sicherheit gibt. Es kann immer wieder zu Situationen kommen, in denen Dinge zusammentreffen, die dann zu so einem Unglück führen. Dass hierbei drei Menschen gestorben sind, ist sehr schlimm und mein Mitgefühl gilt den Angehörigen. Den Verletzten wünsche ich eine vollständige körperliche und psychische Genesung.
Die Wirtschaft kämpft unter anderem gerade mit der erratischen Zollpolitik des US-Präsidenten. Welche anderen Probleme sehen Sie als Mitglied des Wirtschaftsausschusses des Landtags, wenn Sie auf die Firmen in der Region blicken?
Aus den vielen Gesprächen, die ich zu dem Thema führe, nehme ich branchenabhängig sehr unterschiedliche Signale wahr. Die wirtschaftliche Lage reicht von besorgniserregend bis hin zu gut gefüllten Auftragsbüchern. Mit den 15 Prozent Einfuhrzöllen in die USA gib es nun Rahmenbedingungen, die für viele Unternehmen schmerzlich sind. Mein dringender Appell ist, dass wir uns jetzt von der europäischen bis hinunter auf die kommunale Ebene über alle Parteigrenzen hinweg für eine starke Wirtschaft einsetzen – ohne Wenn und Aber. Dass die Wirtschaft kein Selbstzweck ist, ist trotz der prekären Situation vieler Betriebe noch immer nicht bei allen angekommen. Gut wirtschaftende Betriebe sind die Voraussetzung dafür, dass Menschen gut leben können – und der Staat überhaupt handlungsfähig bleibt.
Viel wird aktuell über eine höhere Wochenarbeitszeit und eine längere Lebensarbeitszeit diskutiert – Stichwort: Rente mit 70. Wie positionieren Sie sich da?
Zuerst einmal bin ich über jeden Vorschlag dankbar, der sich mit dem Rententhema überhaupt auseinandersetzt. In den vergangenen Jahren stand weniger Arbeit bei vollem Lohnausgleich meist im Vordergrund der Debatte. Das passt nicht in die aktuelle Zeit. Heute muss es um Sicherung der Arbeitsplätze gehen. Deutschland steht im internationalen Wettbewerb vor allem bei den Energie- und Lohnkosten unter Druck. Jeder, der sich mit dem Thema Rente beschäftigt, erkennt: Das aktuelle System ist so nicht mehr finanzierbar. Meiner Meinung nach müssen wir das Rentensystem flexibler machen und mehr Anreize schaffen: Wer länger arbeitet, bekommt einen Teil des verdienten Geldes steuerfrei. Eine starre Altersregelung spiegelt oftmals nicht die Lebenswirklichkeit in den verschiedenen Berufsfeldern wider.
Mehr als 1400 Lehrerstellen blieben in Baden-Württemberg aufgrund eines Programmierfehlers bis zu 20 Jahre lang unbesetzt. Nehmen Sie Einfluss darauf, dass einige dieser Stellen, die jetzt besetzt werden sollen, in den Wahlkreis Biberach kommen?
Also zunächst einmal habe ich mich sehr geärgert, dass sowas möglich ist und erwarte darauf Antworten vom Kultusministerium. Natürlich stehe ich in Kontakt mit dem Schulamt in Biberach. Am Ende wird jede Schulart, auch hier im Kreis, von den Stellen profitieren. Den größten Bedarf haben wir sicher im sonderpädagogischen Bereich, an den Grundschulen und bei der Krankheitsreserve. Ich habe meine Kontakte ins Kultusministerium und werbe dafür, dass möglichst viele Stellen in den Kreis Biberach kommen. Aber es geht nicht danach, wer am lautesten fordert. Als Konsequenz aus der ganzen Sache müssen wir prüfen, ob in anderen Bereichen alle bewilligten Stellen besetzt sind. So haben wir in den letzten Jahren über 200 zusätzliche Stellen in der Straßenbauverwaltung geschaffen, von denen ich schon wissen möchte, ob diese alle besetzt sind.
Am 8. März 2026 sind Landtagswahlen. Sie und auch viele Kandidaten der anderen Parteien sind bereits nominiert. Startet nach der Sommerpause der Wahlkampf?
Das klingt jetzt wie eine Floskel, aber bis März wird noch parlamentarisch gearbeitet. Plakatiert wird erst im Januar. Bis dahin gibt es noch genügend Aufgaben. Wir müssen das neue Polizeigesetz auf den Weg bringen, das unter anderem den Einsatz der Analyse-Software Palantir unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Das halte ich für richtig. Es wurden mit der Software bereits Anschläge verhindert. Grundsätzlich tendiere ich bei der Abwägung zwischen Sicherheit und Datenschutz dazu, der Sicherheit ein größeres Gewicht beizumessen. Ein weiterer Punkt, der noch vor der Wahl kommen soll, ist das Regelungs-Befreiungsgesetz. Es soll Landkreise und Kommunen die Möglichkeit geben, unter bestimmten Voraussetzungen von landesrechtlichen Vorgaben abzuweichen. Das gibt es bereits im Kitabereich, wo die Kindergartenträger von der Regelgröße abweichen können. Auch der Bausektor kann profitieren. Ich hoffe sehr, dass wir dort endlich Bürokratie zurückdrängen können.
Beim geplanten Neubau der B30-Brücken bei Hochdorf und den damit verbundenen Umleitungen und Sperrungen hatten viele betroffene Bürger die Erwartung, dass der eigene Abgeordnete, der noch dazu verkehrspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion ist, mehr erreichen kann, um das Projekt erträglicher zu gestalten. Überschätzt man da Ihren Einfluss?
Es gibt kein Projekt, in das ich mehr Zeit und Anfragen investiert habe, um eine bessere Lösung hinzubekommen, als dieses. Als Abgeordneter habe ich dabei verschiedene Möglichkeiten, um Einfluss nehmen. Mit Anfragen und Anträgen an den Landtag, die Fragestunde im Parlament und das Vernetzen verschiedener Akteure habe ich das zur Verfügung stehende Repertoire voll ausgeschöpft. Fast alle Entscheidungsträger waren in Hochdorf, mit Bürgermeister Jäckle war ich in Stuttgart. Ja, ich bin verkehrspolitischer Sprecher meiner Fraktion, aber ich bin nicht der Verkehrsminister, der am Ende entscheidet. Zwischendurch hatte ich schon den Eindruck, dass es schwer zu vermitteln ist, wer eigentlich welche Rolle innehat. Immerhin ist gelungen, die Zeit der Sperrung deutlich zu verkürzen. Zufrieden bin ich aber mit der bisherigen Lösung nicht. Ich kämpfe noch immer für das Einschubverfahren, also die neue Brücke neben der alten zu bauen und dann an ihren Platz zu schieben. Das sieht auch die Petition der CDU-Gemeindeverbände Hochdorf und Ingoldingen vor, die dem Verkehrsministerium übergeben wurde.
Schlagzeilen machte der Landtag zuletzt wegen Landtags-Vizepräsident Daniel Born (SPD), der ein Hakenkreuz auf einen Stimmzettel neben den Namen eines AfD-Abgeordneten kritzelte, angeblich um gegen die AfD zu protestieren. Wie beurteilen Sie den Fall?
Menschlich tut es mir für den Kollegen leid. Sein Verhalten war politisch dumm und dem Anspruch eines Parlamentsmitglieds nicht würdig. Ich fand allerdings auch das Verhalten der Landtagspräsidentin, den Stimmzettel einer geheimen Wahl in die Kameras zu halten, dilettantisch. Erst damit wurde das Hakenkreuz öffentlich. Insgesamt zeigt die Affäre die Hilflosigkeit im Umgang mit der AfD. Wenn es uns nicht gelingt, die wirklich wichtigen Probleme zu lösen, dann gewinnen die, die nur Parolen statt Lösungen bieten. Dies gilt für die Parteien auf der ganz rechten wie auf der ganz linken Seite des Parteienspektrums.
© Schwäbische Zeitung, Ausgabe Biberach vom 7. August 2025