Termin für Start von Stuttgart 21 wohl geplatzt - 20.11.25
Von Ulrich Mendelin
Wann die ersten Fahrgäste am neuen Stuttgarter Tiefbahnhof Stuttgart ein- und aussteigen werden, ist völlig offen. Die für Ende 2026 geplante Teileröffnung ist wohl vom Tisch. Ein neues Datum gibt es nicht.
STUTTGART - Die Ungewissheit rund um Stuttgart 21 geht weiter. Selbst die für Ende des kommenden Jahres geplante Teileröffnung des Tiefbahnhofs will die Bahn komplett absagen. Auch 2027 sollen alle Züge ausschließlich im oberirdischen Kopfbahnhof halten. Wann der neue Bahnhof in Betrieb geht, ist völlig offen.
Auf entsprechende Medienberichte reagierte die Deutsche Bahn mit einer knappen Mitteilung von gerade einmal elf Zeilen. Man habe bereits im September im Aufsichtsrat und im Oktober im Lenkungskreis darüber informiert, dass für das Inbetriebnahmekonzept weiterhin „Terminrisiken“ bestehen würden, heißt es darin. Und weiter: „Die Terminrisiken haben sich in einer so bisher nicht vorhersehbaren Dimension erhärtet und werden nun mit dem Aufsichtsrat bewertet.“ Der Diskussion dort wolle man nicht vorgreifen.
Der Aufsichtsrat tagt am 10. Dezember. Faktisch scheint die für Dezember 2026 geplante Teilöffnung aber schon jetzt vom Tisch. Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) fordert nun eine Sondersitzung des Lenkungskreises der Projektpartner, zu denen das Land sowie Stadt, Region und Flughafen Stuttgart gehören.
Nach Informationen aus Kreisen der Projektpartner sind technische Probleme bei der Digitalisierung und beim Bau des Bahnhofs Grund für die erneute geplante Verschiebung. Insbesondere der japanische Konzern Hitachi, mit dem die Bahn bei der digitalen Signaltechnik zusammenarbeitet, kann seine Technologie nicht so schnell wie gedacht einsatzfähig machen.
Nach den im Juli verkündeten Plänen hätten ab Dezember 2026 der Fernverkehr und etwa die Hälfte des Regionalverkehrs den neuen Tiefbahnhof ansteuern sollen, während die übrigen Regionalzüge bis Juli 2027 weiterhin den bisherigen, oberirdischen Kopfbahnhof nutzen sollten. Bei der entsprechenden Ankündigung war bereits von Problemen bei der Digitalisierung die Rede gewesen. In Stuttgart war mit der neuerlichen Terminverschiebung durch die Bahn nicht gerechnet worden. „Ich bin sehr unangenehm überrascht worden“, sagte etwa der Verkehrsexperte der CDU-Landtagsfraktion, Thomas Dörflinger aus Biberach, der „Schwäbischen Zeitung“. „Ich war fest von der Eröffnung im Dezember 2026 ausgegangen.“ Die Bahn müsse selbst ein überragendes Interesse daran haben, dass die Digitalisierung des Stuttgarter Bahnknotens ein Erfolg werde. Denn der Erfolg oder Misserfolg habe eine bundesweite Signalwirkung. „Bahn-Chefin Palla muss das Thema zur Chefsache machen.“
Verkehrsminister Hermann, ein langjähriger S21-Skeptiker, hält die Bahn für überfordert. „Die Deutsche Bahn vertröstet, beschönigt, verzögert und die Kosten steigen“, so der Grünen-Politiker. „Wir fühlen uns getäuscht.“ Und weiter: „Es bestätigt sich abermals, dass die Bahn politisch in ein unfassbar kompliziertes und teures Mega-Projekt getrieben wurde.“
Kritik kommt auch von der SPD. „Wir erwarten jetzt, dass die neue Bahnchefin alle Fakten und Probleme transparent und nachvollziehbar auf den Tisch legt“, so SPD-Verkehrsexperte Jan-Peter Röderer. „Im weiteren Verlauf des Projekts bis zur Fertigstellung müssen endlich wieder die Interessen der Fahrgäste im Mittelpunkt der weiteren Planungen stehen – und nicht weiter bloße Eröffnungstermine.“
Tatsächlich will Bahnchefin Palla jetzt erst einmal gar keinen neuen Eröffnungstermin nennen. Dies sei wohl erst Mitte kommenden Jahres möglich, wenn klar sei, wie die Arbeiten fertiggestellt werden, zitiert der „Spiegel“ Quellen aus dem Bahn-Konzern. Andernfalls laufe man Gefahr, weiteres Vertrauen zu verspielen. Fahrplankonzepte werden mit mehreren Jahren Vorlauf erstellt. In die Feinplanung mit genauen An- und Abfahrzeiten steigen Fahrplangestalter mit etwa einem Jahr Vorlauf ein. Spätestens dann müssen sie verlässlich wissen, mit welcher Infrastruktur sie planen können - die Fahrt in und aus einem Kopfbahnhof erfordert eine andere Zeitplanung als die Fahrt durch einen Tiefbahnhof. Die S21-Teilinbetriebnahme zum jetzigen Zeitpunkt abzusagen, war für die Bahn also die letzte Möglichkeit, dies zu tun, ohne das Fahrplan-Chaos perfekt zu machen.
Aber auch jetzt gibt es viele offene Fragen, auf die die Bahn und ihre Projektpartner - das Land Baden-Württemberg sowie Stadt, Region und Flughafen Stuttgart - nun Antworten finden müssen.
So war ab Ende 2026 beispielsweise ein neuer durchgehender Regionalexpress von Friedrichshafen über Stuttgart nach Karlsruhe geplant. Ob dieser neue RE1 auf der alten Strecke ohne S21-Tunnel und Tiefbahnhof realisiert werden kann, ist fraglich.
Ebenso dürfte es dabei bleiben, dass die IRE200-Züge auf der Neubaustrecke nur zwischen Ulm und Wendlingen pendeln. Eine bittere Nachricht für die Bewohner der Laichinger Alb, die mit dem neuen Bahnhof Merklingen eine direkte Anbindung an die Landeshauptstadt erwartet hatten.
Im Süden Baden-Württemberg, in Singen, Tuttlingen oder Rottweil, dürften Interessengruppen neue Hoffnung schöpfen, dass mit einer Verschiebung von Stuttgart 21 auch die bisher ab April 2027 geplante Kappung der Gäubahn-Züge in Stuttgart-Vaihingen erst später kommt. Die Züge aus Richtung Singen und Zürich sollen langfristig über den noch zu bauenden Pfaffensteigtunnel und den Flughafenbahnhof in Richtung des Stuttgarter Hauptbahnhofs eingefädelt werden - ein Konzept, das wegen der langen Unterbrechung der Direktverbindung in die Landeshauptstadt bei den Gäubahn-Anrainern auf Unmut stößt.
Ebenfalls offen ist, ob trotz der Verschiebung auch das Konzept einer stufenweisen Inbetriebnahme weiterverfolgt wird, oder ob angesichts eines verlängerten zeitlichen Vorlaufs der komplette Verkehr dann doch auf einen Schlag durch den Tiefbahnhof rollen soll.
Offen ist schließlich auch, ob die zeitliche Verschiebung die Kosten weiter steigen lässt. Diese steigen seit Jahren stetig an. In einem Finanzierungsvertrag von 2009 wurde nur die Verteilung von Kosten bis zu einer Höhe von gut 4,5 Milliarden Euro geregelt. Zuletzt rechnete die Bahn mit 11,3 Milliarden Euro. Die Differenz muss die Bahn alleine stemmen, wie der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg im August entschieden hat.
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© Schwäbische Zeitung vom 20.11.2025, Seite 4 - Politik